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Einleitung zum Thema Fatigue
Fatigue ist ein häufiges, jedoch oft unterschätztes Symptom bei chronischen Erkrankungen. Es handelt sich dabei um eine tiefe, anhaltende Erschöpfung, die sich durch Ruhe oder Schlaf nicht bessert und die körperliche wie geistige Leistungsfähigkeit stark einschränkt. In diesem Artikel werden drei Formen der Fatigue unterschieden und näher erläutert:
- primäre Fatigue,
- sekundäre Fatigue
- sowie das Chronic Fatigue Syndrome / Myalgic Encephalomyelitis (CFS/ME), das eine eigenständige Erkrankung darstellt.
Im Fokus stehen die Unterschiede hinsichtlich der Entstehung, der Symptomatik, der Diagnostik und des Umgangs mit den jeweiligen Formen.
Arten der Fatigue
Medizinisch lässt sich Fatigue grob in zwei Symptomebenen unterteilen:
- Primäre Fatigue entsteht infolge der zugrundeliegenden Erkrankung selbst.
- Sekundäre Fatigue tritt als Begleiterscheinung anderer Belastungen auf, etwa durch Schmerzen, Medikamente oder psychische Faktoren.
Darüber hinaus existiert mit dem Chronic Fatigue Syndrome / Myalgic Encephalomyelitis (CFS/ME) eine eigenständige Erkrankung, die mit schwerwiegender, anhaltender Erschöpfung einhergeht.
Bei chronischen Erkrankungen wie Lupus kann die Fatigue sowohl primäre als auch sekundäre Ursachen haben. Auch ein zusätzliches Auftreten von CFS/ME ist nicht ausgeschlossen.
Primäre Fatigue
Entstehung und Ursache der primären Fatigue
Die primäre Fatigue tritt infolge einer Grunderkrankung auf, insbesondere bei chronisch-entzündlichen oder autoimmunen Erkrankungen wie systemischem Lupus erythematodes (SLE), Multipler Sklerose (MS) oder dem Sjögren-Syndrom.
Als ursächlich gelten neuroimmunologische Prozesse: Entzündungsbotenstoffe (Zytokine) und Veränderungen im zentralen Nervensystem könnten eine Rolle spielen. Diese Zusammenhänge sind Gegenstand aktueller Forschung, bisher jedoch nicht abschließend belegt.
Symptome der primären Fatigue
Die primäre Fatigue äußert sich als tiefe, körperliche und geistige Erschöpfung. Betroffene berichten von eingeschränkter Belastbarkeit, die tages- und phasenweise stark schwanken kann. Häufig treten zusätzliche Symptome wie Konzentrationsstörungen, Antriebslosigkeit oder kognitive Beeinträchtigungen auf.
Charakteristisch ist, dass selbst längere Ruhephasen oder Schlaf keine spürbare Erholung bringen.
Diagnose der primären Fatigue
Die Diagnose der primären Fatigue erfolgt vorwiegend durch Ausschluss anderer Ursachen. Dazu gehören Blutuntersuchungen, Bildgebung und Anamnese. Zunächst müssen behandelbare sekundäre Auslöser ausgeschlossen werden (z.B.: Infekte), Mangelzustände, Medikamentennebenwirkungen).
Zudem wird geprüft, ob eine bekannte Grunderkrankung vorliegt, die mit primärer Fatigue assoziiert ist. Ergänzend kommen standardisierte Fragebögen und klinische Einschätzungen zur Anwendung. Es handelt sich um eine Ausschlussdiagnose, da es keine spezifischen Laborwerte oder bildgebenden Verfahren gibt, die Fatigue direkt nachweisen können.
Verlauf der primären Fatigue
Der Verlauf der primären Fatigue ist häufig schubförmig, kann aber auch unabhängig von der Krankheitsaktivität auftreten. Die Symptomatik variiert stark zwischen den Betroffenen. Eine vollständige Rückbildung ist selten, jedoch kann die Belastung durch gezieltes Management reduziert werden.
Sekundäre Fatigue
Entstehung und Ursache der sekundären Fatigue
Entstehung und Ursache der sekundären Fatigue
Sekundäre Fatigue tritt als Folge zusätzlicher Belastungsfaktoren auf. Sie ist nicht direkt durch die Grunderkrankung selbst bedingt, sondern entsteht durch deren Begleiterscheinungen oder externe Einflüsse. Häufige Ursachen sind:
- chronische Schmerzen
- Schlafstörungen
- Depressionen oder Angststörungen
- Medikamente (z. B. Kortikosteroide, Immunsuppressiva)
- Mangelzustände (z. B. Eisen, Vitamin D, B12)
- hormonelle Dysbalancen
- Tumorerkrankungen oder Infektionen
Diese Form der Fatigue ist bei vielen chronischen Erkrankungen verbreitet. Sie gilt als die häufigste Fatigue-Form.
Diagnostik der sekundären Fatigue
Die Diagnostik zielt darauf ab, die zugrunde liegenden Ursachen der Fatigue zu identifizieren. Dazu gehören:
- Umfassende Anamnese (z. B. Schlafverhalten, psychische Belastungen, Medikamentenplan)
- Labordiagnostische Abklärung (u. a. Entzündungswerte, Elektrolyte, Schilddrüse, Vitamine, Blutbild)
- Ggf. bildgebende Verfahren oder Überweisungen an Fachdisziplinen
Ziel ist es, alle potenziell behandelbaren Auslöser der Fatigue aufzudecken und gezielt anzugehen.
Verlauf der sekundären Fatigue
Im Gegensatz zur primären Fatigue ist die sekundäre Fatigue oft reversibel. Sobald die auslösenden Faktoren behandelt werden, kann sich die Erschöpfung deutlich bessern oder vollständig zurückbilden. Die Prognose hängt maßgeblich von der Erkennung und Behandlung der Ursache ab.
Behandlung der primären und sekundären Fatigue
Da Fatigue bislang nicht ursächlich therapierbar ist, zielt die Behandlung darauf ab, belastende Faktoren zu reduzieren, Ressourcen zu stärken und die Lebensqualität zu verbessern. Je nach Fatigue-Form unterscheidet sich der Therapieansatz:
Behandlung sekundärer Ursachen:
Zu Beginn sollte immer geprüft werden, ob eine sekundäre Fatigue vorliegt. Hierzu zählen z. B. Schmerzsyndrome, Schlafstörungen, Mangelzustände, Medikamentennebenwirkungen oder psychische Belastungen. Werden solche Faktoren erkannt und gezielt behandelt, kann sich die Fatigue deutlich verbessern oder vollständig zurückbilden. Sollte die Ursache nicht zeitnah behoben werden können, kann bis dahin auf die Maßnahmen zur Behandlung der primären Fatigue zurückgegriffen werden.
Unterstützende Maßnahmen bei primärer Fatigue:
- Eine primäre Fatigue kann meist nicht vollständig beseitigt werden, jedoch helfen folgende Maßnahmen, den Alltag besser zu bewältigen:
- Strukturierter Tagesablauf mit regelmäßigen Ruhephasen
- Verbesserung der Schlafhygiene
- Ausgleich leichter Mängel (z. B. Vitamin D, Eisen, Magnesium)
- Bewegung in angepasstem Maß: Studien zeigen, dass regelmäßige, moderate körperliche Aktivität langfristig zur Besserung beitragen kann
- Wärmeanwendungen zur Schlafförderung: Kalte Füße können die Einschlafzeit verlängern und die Schlafqualität beeinträchtigen. Dies gilt insbesondere für Menschen mit Raynaud-Syndrom, bei denen es durch Gefäßverengungen zu einer verringerten Durchblutung der Extremitäten kommt. Wärmesocken, Heizmatten oder Fußbäder können hier gezielt helfen.
- Einsatz von Pacing zur Energieeinteilung (siehe Kapitel Pacing)
Begleitend kann psychologische oder psychosomatische Unterstützung sinnvoll sein, etwa zur Stressbewältigung, im Umgang mit chronischer Erkrankung oder bei depressiver Verstimmung.
Persönliche Erfahrung mit medikamentöser Behandlung
Auch wenn es derzeit keine standardisierte medikamentöse Therapie gegen Fatigue gibt, berichten einige Patient*innen mit Lupus über eine Besserung unter bestimmten Immuntherapien.
Aus persönlicher Erfahrung und gestützt durch Rückmeldungen aus der Community kann ich sagen, dass uns Biologika wie Anifrolumab (Saphnelo) und Belimumab (Benlysta) spürbar bei der Reduktion der Fatigue geholfen haben. Beide Medikamente sind für den systemischen Lupus erythematodes zugelassen und zielen auf entzündliche Prozesse im Immunsystem ab.
Darüber hinaus ist die Regulation des Vitamin-D-Spiegels essenziell: Ein ausgeglichener Spiegel kann das allgemeine Wohlbefinden verbessern und möglicherweise auch einen positiven Einfluss auf die Fatigue haben.
Chronic Fatigue Syndrom / Myalgic Encephalomyelitis (CFS/ME)
Allgemeines zum CFS/ME
Das Chronic Fatigue Syndrome, auch bekannt als Myalgische Enzephalomyelitis (CFS/ME), ist eine eigenständige, schwerwiegende Erkrankung. Sie kann isoliert auftreten, aber auch zusätzlich zu anderen chronischen Krankheiten wie Lupus bestehen.
Kennzeichnend ist eine tiefgreifende Erschöpfung, die in keinem Verhältnis zur vorangegangenen Belastung steht und sich nicht durch Ruhe oder Schlaf bessert.
Auslöser des CFS/ME
Die genaue Ursache von CFS/ME ist bislang nicht abschließend geklärt. Als häufige Auslöser gelten Infektionen, etwa mit dem Epstein-Barr-Virus oder SARS-CoV-2 (COVID-19). Auch Impfreaktionen, Operationen oder schwere körperliche Belastungen werden als potenzielle Trigger diskutiert.
Leitsymptome des CFS/ME
Das Leitsymptom von CFS/ME ist eine krankhafte Erschöpfung, die sich durch keine andere bekannte Ursache erklären lässt. Charakteristisch sind:
- Post-Exertional Malaise (PEM): eine Zustandsverschlechterung nach körperlicher, geistiger oder emotionaler Belastung. Diese tritt oft erst mit Verzögerung (12–48 Stunden später) ein und kann Tage bis Wochen anhalten.
- Nicht erholsamer Schlaf trotz ausreichend Ruhe
- Kognitive Einschränkungen („Brain Fog“), z.B.: Konzentrations- und Wortfindungsstörungen
- Orthostatische Intoleranz, z.B.: Kreislaufbeschwerden oder Herzrasen beim Aufstehen (mit oder ohne POTS)
- POTS (Posturales Tachykardiesyndrom) ist eine Form der orthostatischen Intoleranz, bei der es beim Aufstehen zu einem übermäßigen Anstieg der Herzfrequenz kommt, ohne dass der Blutdruck gleichzeitig absinkt.
Die Symptome variieren in Ausprägung und Kombination, führen aber häufig zu einer erheblichen Einschränkung der Alltagsbewältigung.
Diagnose des CFS / ME
Da es keine labordiagnostischen Marker für CFS/ME gibt, erfolgt die Diagnose klinisch anhand festgelegter Kriterienkataloge. In Deutschland werden häufig die Kanadischen Konsenskriterien oder die Internationalen Konsenskriterien angewendet. Diagnostisch muss sichergestellt sein:
- Die Symptome bestehen seit mindestens sechs Monaten
- Belastung führt zu einer klaren, krankhaften Zustandsverschlechterung (PEM)
- Schlaf ist nicht erholsam
- Es liegt mindestens eines der folgenden Symptome vor: kognitive Beeinträchtigung oder orthostatische Intoleranz
- Andere Ursachen (z.B.: Schilddrüsenerkrankungen, psychische Erkrankungen, Mangelzustände) wurden ausgeschlossen
Verlauf des CFS / ME
Der Verlauf von CFS/ME ist individuell verschieden, aber oft langwierig und durch Rückfälle geprägt. Belastungen – selbst geringe – können den Zustand deutlich verschlechtern. Die Erkrankung kann schubweise oder chronisch-progredient (dauerhaft bestehende Erkrankung, bei welcher sich der verlauf langsam aber stetig verschlechtert) verlaufen. In schweren Fällen sind Patient*innen dauerhaft bettlägerig.
Behandlung vom CFS/ME
Eine kausale Therapie existiert derzeit nicht. Ziel der Behandlung ist daher die Stabilisierung des Gesundheitszustands und der Erhalt der Lebensqualität.
Wichtige Ansätze sind:
- Pacing zur vorausschauenden Einteilung der verfügbaren Energie (siehe Kapitel Pacing)
- Reizreduktion im Alltag, insbesondere bei Licht-, Geräusch- und Sozialreizen
- Symptomorientierte Begleittherapien, z.B.: Schmerzbehandlung, Schlafoptimierung oder Kreislaufstabilisierung
- Psychosoziale Unterstützung, sofern sie nicht als Aktivierungstherapie verstanden wird
In keinem Fall sollten Betroffene zu körperlicher Aktivität gedrängt werden. Programme wie „Graded Exercise Therapy“ (GET) gelten heute als kontraindiziert und potenziell schädlich.
Was ist GET (Graded Exercise Therapy)?
Bei der Therapieform Graded Exercise Therapy (GET) wurde versucht, Patientinnen durch schrittweise Steigerung körperlicher Aktivität zu „rehabilitieren“. Studien und Erfahrungsberichte zeigen jedoch, dass GET bei CFS/ME-Patientinnen häufig zu Zustandsverschlechterungen führt – insbesondere aufgrund von Post-Exertional Malaise (PEM). Internationale Leitlinien raten daher mittlerweile explizit von GET bei CFS/ME ab.
Was ist Pacing?
Pacing ist eine Methode zur Selbstregulation bei Fatigue und insbesondere bei CFS/ME. Ziel ist es, Aktivitäten so zu planen und zu dosieren, dass eine Verschlechterung der Symptome, etwa durch Post-Exertional Malaise (PEM), vermieden wird.
Das Konzept basiert auf der Vorstellung eines begrenzten Energiehaushalts, der nicht überschritten werden darf. Wird die Belastungsgrenze überschritten, kann das zu teils massiven Rückfällen führen, die Tage oder Wochen anhalten. Pacing soll helfen, diese Rückfälle zu vermeiden und die verfügbare Energie möglichst stabil zu halten.
Grundprinzipien von Pacing
- Belastung unterhalb der Symptomgrenze halten
- Frühwarnzeichen erkennen und rechtzeitig reagieren
- Aktivitäten vorausschauend planen und strukturieren
- Regelmäßige Pausen einbauen – auch präventiv, nicht nur bei Erschöpfung
- Alle Energieverbraucher berücksichtigen (auch Gespräche, Bildschirmzeit oder emotionale Belastungen)
- Reizarme Erholung in den Alltag integrieren
- Über- und Unterforderung gleichermaßen vermeiden
Die Energiekonto-Metapher
Zur Veranschaulichung wird oft das Bild eines „Energiekontos“ verwendet:
Jede Aktivität verbraucht Energie. Wird mehr ausgegeben, als verfügbar ist, entstehen „Schulden“, die schwer auszugleichen sind. Unterhalb der persönlichen Grenze bleibt der Kontostand stabil: Das Ziel des Pacings.
Umsetzung im Alltag von Pacing
- Symptom- und Aktivitätstagebuch führen, um eigene Grenzen besser kennenzulernen
- Frühwarnzeichen dokumentieren, z. B. Herzklopfen, Unruhe, Reizempfindlichkeit, Konzentrationsabfall
- Aktivitäten aufteilen, statt sie in einem Schritt zu erledigen
- Ruhezeiten einplanen, bevor Symptome auftreten
- Priorisieren lernen: Was ist heute notwendig, was kann warten?
- Realistische Tagesplanung, die Raum für Unvorhergesehenes lässt
- Bewusst auch Angenehmes dosieren: Auch schöne Aktivitäten kosten Energie
Grenzen und Nutzen von Pacing
Pacing ist kein Heilmittel. Aber es kann Rückfälle reduzieren, den Alltag stabilisieren und die Lebensqualität erhöhen. Wichtig ist eine gute Selbstbeobachtung und die Bereitschaft, Routinen regelmäßig anzupassen. Auch bei milder Fatigue kann Pacing ein hilfreiches Werkzeug im Energiemanagement sein.
Fazit
Fatigue kann als primäre, sekundäre oder eigenständige Erkrankung (CFS/ME) auftreten und stellt eine erhebliche Belastung im Alltag dar. Während sekundäre Formen oft behandelbar sind, erfordert der Umgang mit primärer Fatigue und CFS/ME gezielte Strategien wie Pacing, Strukturierung und symptomorientierte Maßnahmen. Eine individuelle Betrachtung ist entscheidend, denn pauschale Ansätze greifen meist zu kurz.
Meine Hilfsmittel
Im Umgang mit Fatigue habe ich einige unterstützende Hilfsmittel entdeckt, die mir den Alltag erleichtern. Eine Übersicht findest du hier:
Quellen
Die Inhalte basieren auf sorgfältiger Recherche und verlässlichen Quellen. Die angegebenen Links dienen der Nachvollziehbarkeit, für deren Inhalte übernehme ich keine Verantwortung.
Klicken zum ausklappen der Quellen zum Artikel Fatigue
https://www.thieme-connect.de/products/ejournals/pdf/10.1055/s-0042-121259.pdf
https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC11549199
https://www.frontiersin.org/journals/immunology/articles/10.3389/fimmu.2024.1440922
https://bmcmedicine.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12916-014-0259-2
https://www.multiplesklerose.ch/de/aktuelles/detail/fatigue-bei-multipler-sklerose-was-wissen-wir
https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC11549205
https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov
https://www.mssociety.org.uk/about-ms/signs-and-symptoms/fatigue